VON SUSE SCHRÖDER
Vielleicht ist’s nie genug?
Wir entern die Handtücher einer Familie im Schatten. Du sputest sich. Auch dein zweites Kniegelenk ist in deinen Körper hineingewachsen. Du sagst: »Wenn sie zurückkommen, zieh als erstes das Shirt über meinen Bauch und mich dann hoch. Wenn’s nicht gelingt, versuch ich es über den Vierfüßler.« »Klar!«, sage ich. Du lässt dich auf deinen Hintern plumpsen, kippst den Oberkörper nach. »Ich liege«, sagst du und zuppelst dein Shirt nach oben. »Oma«, sage ich, »die Leute sehen Deine linke Brust.« »Haben sie eben was zu sehen«, sagst du und legst auch die andere frei, beide im Büstenhalter gefangen. »Oben ohne machen wir mal mit mehr Publikum auf unserer eigenen Decke.« Wir klatschen ab. Ich liege mit dem Blick stur in den Wolken.
du bist immer noch tot
das ist jetzt so
Mein Großer und ich stecken die Köpfe durch die Tür. Deine runden, rosigen Wangen sind eingefallen. Immer noch trägst du nicht alle Zähne. Ich weine. Abschiede kann ich nicht. Ich sage dir, dass ich auf Reisen gehe, für länger, sage, dass du essen musst, sonst … Ich wollte das nicht mehr, wollte, dass ich wollen könnte, dass du für dich entscheidest. Ich stelle Standardfragen. Du schlürfst ein Schlückchen. Wir lachen. Ich weine immer wieder. Du schaust mit aufgerissenen Augen ins Zimmer. Ich schiebe meinen Großen zu deinem Bett. Die Besuchszeit ist seit anderthalb Stunden beendet. Die Schwestern lassen uns Abschied nehmen. Bevor wir gehen, ohne Blick zurück, drücke ich dich mehrmals. Doller als sonst!
Erleben wir es zusammen?
Wir treffen uns bei dir. Im Papiermüll liegen Werbeprospekte. Du brühst Kaffee auf. Beim Torteessen blättern wir durch die Kataloge, markieren Seiten mit Eselsohren. Strandoutfits, wollende Kleider, ein Anzug fürs Theater, gleiches Fabrikat, eine Größe Unterschied. Wir kleben Urlaubsziele auf Buntpapierbögen, Unterkünfte dazu. Aus deinem Essenlieferplan stellen wir uns Menüs zusammen. Wir hören Urlaub in Italien und Wenn ich nicht hier bin, bin ich auf dem Sonnendeck. Dann muss ich los. Du stellst unser Zine zu den anderen.
nach der vorerst letzten umarmung
wiedersehen in sieben monaten oder nie
wie lässt sich ein letzter abschied vorläufig nehmen
Auch nach Wochen bleibt die Sturzstelle offen und du in Krankenhäusern. Ich schaffe es stets nur auf den letzten Drücker. Eine Draußen-Furcht hat sich in meinem Körper festgesetzt. Du verlierst deinen Appetit. Beim Pförtner erfrage ich deine Durchwahl. Dein Name genügt dafür nicht. Ich sage ein ungefähres Geburtsjahr. Haut muss verpflanzt werden. Offenen Stellen kennen wir schon von Opa. Am Telefon lallst du. Deine Zähne klappern. Du willst nicht darüber sprechen, wenn wir uns sehen vielleicht. Ich telefoniere die anderen ab, bitte darum, was gegen die wackelnden Zähne zu unternehmen. Wir reden. Ich frage was, du antwortest daneben. Ich soll vorbeischauen, wenn es mal passt.
Mutti klebt dir die Zähne ein. Du isst Pudding und trinkst Saft. Minimalversorgung ja, Grundversorgung nein. Deine lebenslange Essenslust kehrt nicht zurück. Die ÄrztInnen entscheiden: Tropf, wenn du weiterhin so wenig isst und trinkst. Du trinkst und isst weiterhin wenig. Als wärst du entschieden. Als wäre jetzt die Zeit dein Versprechen an Opa einzulösen. Du verlierst die Orientierung im Jetzt. Wer nichts trinkt, taucht ab. Deine Armbeugen sind vom Tropf zerstochen. Du liegst nur noch. Manchmal richtet dich ein Kissen im Rücken auf. Dein Gesicht wird zum Liegegesicht. Dein Körper ein abgelegter. Du verlierst Muskeln, dein Geh- und Stehvermögen ins Ungewisse. Rätselblöcke und Zeitschriften stapeln sich an deinen Krankenhausbetten. Dein Strickzeug liegt oben auf. Mandarinen. Du verlierst Maschen, willst sie wiederaufnehmen, wenn du zu Hause bist. Oder Kraft dazu hast.
Reicht es schon?
Ein Typ flappt mich am Tresen an. Ich schiebe ihn weg. Er legt einen Arm um mich. Ich hole aus. Du bist schneller. Packst sein Kinn, drehst seinen Kopf zur Seite und schmatzt das Schätzchen mit angeleckten Lippen. Noch lacht er. Ich greife seinen Drink und kippe einen Schluck in sein Shirt. Dann schnappe ich unsere Planter’s Punch. Wir stoßen an, tanzen »like nobody is watching«. Gäbe es heute einen Pokal zu gewinnen, wir trügen ihn heim.
das zeichen, die zeichen
das worten, die zeilen
das z zuletzt das wort
wenn alle ohne narben und kratzer, schrammen und wunden
verwundet
Meine Besuche bleiben immer zu wenige. Zuweilen allein, häufig mit den Kindern. Immer bist du bereit, freust dich, drehst den brüllenden Fernseher leiser. Die Kinder sind wild. Du lässt sie sein, feuerst sie an. Wird es dir zu viel, wirst du streng, nicht streng wie mit mir, sowieso nie so streng wie mit deinen eigenen Kindern. Du bist froh, wenn wir da sind. Du bist froh, wenn wir gehen. Wir wissen voneinander. Das ist genug.
Ich komme mit meiner Familie am späten Nachmittag mit Kuchen auf Besuch. Du trägst schon deinen Schlafanzug. Der Pflegedienst hatte nur so Zeit. Du willst dich nicht vorm Haus und auch nicht auf dem Balkon in deiner Schlafmode zeigen. Vorm Haus sitzen bis Sonnenuntergang die Tratschweiber als gehörte ihnen allein die Bank-Öffentlichkeit vorm Haus.
Besuche fallen dir schwerer. Einmal noch stehst du vor meiner Haustür, während wir anderen am Geburtstagstisch im 3. Stock sitzen. Ich bringe ein Stück Torte und zwei Kuchengabel hinunter zu dir. Wir schlemmen. Oben grüße ich von dir in die Runde, während dich dein Großer zurück nach Hause fährt.
Sprichst Du es aus?
Am Treffpunkt sind richtig viele Leute. Wir haben kein Transparent, aber du deine Stimme, ich meine Trillerpfeife. Wir mischen uns unter die AbtreibungsgegnerInnen. Du schubst Leute. Wenn sie straucheln und sich wehren wollen, lächelst du. Dein Goldzahn blitzt. Sie geben nach. Du rufst in die Redebeiträge hinein. Eine reagiert überzogen. Du lächelst und sagst: »Maria, geh in die Kirche!« Wir lachen uns aus der Demo heraus, räubern jede ein Kreuz aus besonders tattrigen Händen. In der Bahn unterhalten wir uns über Abtreibungen. Was wir erlebt haben. Du behältst das für dich. Ich für mich.
mich aufs danach vorbereiten
an den gedanken dessen
der nicht begriffen werden wird
weil eine nicht mehr lebt
Am Ende musst du nicht und nichts mehr. Kein Müssen mehr am Ende, obwohl ich es mir da am meisten wünsche. Die letzten Male die ganze Besuchszeit über. Ich sage: Wenn du noch bleiben willst, iss. Sonst bleibst du am Tropf. Du verstehst und verstehst nicht. Du hast keine Kraft mehr. Deswegen keinen Appetit. Du hast keinen Appetit mehr. Deswegen keine Kraft.
Du kippst in ein Früher. Es gefällt dir dort. Du lächelst zwischen deinen trockenen, eingefallenen Lippen, deinen eingesunkenen Wangen. Wir schrumpfen. Du findest uns niedlich. Deine Augen verfolgen uns, als rätseltest du, was vor sich geht.
Du willst nichts trinken. Später, sagst du. Bei Alkoholsortenworten glitzern deine Augen.
Ich trinke jetzt öfter einen auf dich! Auch um zu vergessen.
Passiert hier noch was?
Eure Laube wurde vor 35 Jahre abgerissen. Wir legen ein Beet auf der Balkonseite deines Neubaublocks an, pflanzen Erdbeeren, Tomaten, Gras. Im Sommer ernten wir. Im Herbst ist das Gras durchgetrocknet. Wir rauchen einen Joint. Vor Jahren hatte dein Hausarzt gesagt, dass du es mit Deiner Enkelin ruhig ausprobieren kannst. In der Nacht fliegt dein Bett mit dir zur Decke. »Nie wieder«, lachst du und dabei bleibt es.
das warten abwerfen wollen,
aber
AUS
Ich begreife verzögert.
Zum ersten Mal als ich dich anrufen, dir berichten will von dort, wo ich gerade bin, von den grünen Papageien, den Zitronen und dem unfassbaren Türkis. Dort schreibe ich in Flamingopink: Jetzt würde ich dich gerne anrufen. So wird es jetzt häufiger sein.
Zum zweiten Mal nach einem Monat. Ich denke: du bist immer noch tot. Denke: das bleibt jetzt so, begreif es nicht. Hinfühlen will ich schon gar nicht. Aber: so funktioniert es nicht. Ich funktioniere nicht.
Zum dritten Mal als sich der Tag deiner Beerdigung nähert. Ich überlege, ob nicht dort das Weitergehen als Familie, das Weiterleben beginnt, das Weitererleben einsetzt, durch und mit den anderen. Ich suche nach Verbindungen und bleibe dort, wo ich bin. Am Tag deiner Beerdigung lässt sich das Begreifen nicht aufschieben. Ich sitze 2000 Kilometer weit entfernt am Meer.
Reicht es jetzt?
Ich erzähle dir vom Stagediven. Du glaubst mir nicht, weil es dir zu absurd vorkommt. Ich erzähle dir von Ländern, in denen verstorbenes Regierungspersonal vom Volk durchs Volk getragen wird. »Sargdiven?«, fragst du und ob es sich testamentarisch festhalten lässt. Du zögerst, bist dann aber doch dabei. Wir gehen zu einer meiner Lieblingsbands. Ich checke die Stagedivelage und befinde sie für geeignet. »Hand in Hand?«, frage ich dich. Du zeigst mir einen Vogel, aber ich sehe das Glitzern in deinen Augen. Ich frage die Leute um uns herum. Genug sind einverstanden. Plötzlich heben dich Umstehende. Du kreischst über unseren Köpfen vor Glück. Ich finde dich, wo die Arme dich sanft heruntergelassen haben. »Ich habe mir ein Bisschen eingepullert«, sagst du und »geil« und »stark« mehrere Minuten lang.
ins mechanische kippen
auf und ab fährt meine hand
deine hand dein arm daran
streicheln halten
Es zieht dich fort. Nach Hause. Wenn es dir besser geht. Wenn du deinen Appetit wiederfindest. Dann kannst du zur Tagesgruppe gehen. Nach den Trauerjahren haben wir dir dazu geraten. Irgendwann unternahmst du einen Versuch. Du magst es und wirst gemocht. Du bleibst anfangs bis zum Mittagessen, willst nicht wie andere am Tisch einschlafen, willst nicht, wie sie mit offenen Mündern auf ihren Stühlen hin und her kippeln. Später bleibst du zum Kaffeetrinken, gehst zu den Festen, strickst für andere: Babysocken, Herrenstrümpfe, Mützen, eine Weste. Zum Fasching verzierst du dir einen Hut mit regenbogenfarbenen Bommeln. An den besuchslosen Nachmittagen sitzt du vorm Fernseher. Wenn ich dich anrufe, dröhnt er auf Stadionlautstärke. Ich brülle gegen ihn an. Du stellst ihn leiser, aber nicht leise. Wir plaudern. Du bist froh, wenn du deine Ruhe hast. Du freust dich über meine Anrufe. Du freust dich über meine Besuche. Ich weiß es. Immer sagst du es. Wir drücken uns, berühren einander, schauen in unsere braunen Augen. Deinen Geruch nehme ich mit nach Hause. Immer wieder schnuppere ich nach.
Ohnehin bleiben die Dinge.
Ich hole Dich ab. Wir fahren zu deinem Großen in den Garten. Ein paar Enkel sind da. Wir machen ›Oma-Tag‹ sage ich in die Runde. Wie abgesprochen. Du darfst dir Sachen wünschen und fordern. Das sollst du üben. Ruhig kleinteilig. Die Füße betreffend. Den Rücken. Appetit und Durst. Du bestehst mäßig in der ungewohnten Situation, forderst zu wenig, wünschst fast nichts. Am Ende gelingt’s. Wie eine Königin bewirten wir dich, dürfen wir dich betuddeln.
bilanzieren ohne die faktoren zu kennen
Deine Füße kenne ich nur geschwollen. Deine Brüste gut. Meine ähneln denen meiner Mutti, ihre deinen.
Ich zähle die Altersflecke auf deiner Ehering-beringten Hand. Deine geschwollenen Finger geben ihn nie mehr frei. Nicht wie im ersten Trauerjahr. In ihm waren wir jedes Mal froh, wenn wir ihn wiederfanden.
deine fingernägel lackierst du dir bis zuletzt
gelegentlich führen wir den gleichen dialog
nein oma ich will nicht
aber es würde so schön
ich will nicht
du bist einverstanden bis zum nächsten mal
Ich sehe dich, wie du dich im Spiegel betrachtest: Krähenfüße, Büstenhalter, Schmuck, die Warzen an deinem Hals und in deiner Achselhöhle. Du setzt dir die Brille auf, vergrößerst deinen Blick, in den alle Braunaugen hineinpassen, wie in dein seit Jahrzehnten stolperndes Herz. Die Jahre werden dir schwer, über manche legt sich eine Depression. In diesen Phasen rollen bei jedem Besuch Tränen. Trotzdem: Lachen bleibt möglich.
Chancen haben wir doch!
Wir schreiben unsere Liste fort. Was zu wünschen übriggeblieben ist, was noch erlebt werden kann. Progressive Muskelentspannung und Spaziergänge sind zu wenig. Dir und mir für dich. Du wirst mutiger. Ich mit dir. Wir fügen hinzu:
Stadt Land Urlaubsziel Unterkunft spielen
Spielen: wie es nie gewesen ist oder was wäre wenn
Liebesbriefe an Schlagerstars und Punkrocker schreiben
Eine saftige Annonce inserieren, die deinen Briefkasten überquillen lässt
Deinen Hof beschallen, du ein Lied, ich einen Song, du ein Rant, ich eine Arie.
Alles gefällt uns plötzlich.
ich schnappe mir ein foto mit den letzten 5 prozent meines akkus
Wir reden über vergangene Reisen und die Zukunft. Als Opa in Rente ging, unternahmt ihr einzwei SeniorInnenausfahrten. Du träumtest von Monaco, mit Hut und Kostüm an der Rivera. So lange du konntest, besuchtest du deine Kinder.
Wir machen kurze Ausfahrten. Zu Opas Grab. Zum Konsum.
Du schiebst deinen Po auf den Beifahrerinnensitz, ich hebe deine Beine hinein. Du ruckelst dich zurecht, ich reiche dir deine Krücke nach und schnalle dich an. Ich lege meine Wange an deine, meine Hand an deinen Bauch. Ich schnuppere, schmiege mich an.
Wir führen dich aus. Ich fahre uns. Mutti regt sich auf, du lachst, Schwester schweigt. Wir fragen uns wie es wäre, an den See zu fahren und nackig hineinzuspringen. Wir geben uns alle die Blöße. Öffentlich nackig waren wir schon lange nicht mehr. Wir könnten. Da sind wir uns einig!
Im Café bringen dir deine Italienisch-Kenntnisse einen Prosecco an unseren Tisch. Espresso folgt in zweiter Runde. Du leckst Erdbeereis und Sahne von deinen Lippen. Am Ende landet immer etwas auf deinem Shirt. Kichernd fahre ich euch nach Hause.
Hast Du genug?
Ich bringe dir asiatisches Essen mit. Du hast keinen Appetit, aber du kostest von allem. Den Rest des Besuchs schleckst du dir über die Lippen. »Nächstes Mal Döner?«, frage ich. Du nickst: »Baby-Döner, ja!«
ich will das alles hier behalten
anhalten
Schwester schreibt über 2000 Kilometer hinweg: Die Braunaugen versammeln sich. Du schläfst. Du erwachst. Du lächelst. Du lachst. Du bist halb dort, wo deine Kinder und Kindeskinder sitzen, halb dort, wo es dir jetzt besser gefällt. Du weinst nicht, zumindest erfahre ich davon nichts. Erwartungen, Befürchtungen, Ablenkungen überlagern sich. Wir wissen: Es wird lange weh tun. Darüber schweigen wir.
Schwester schreibt: Es sieht schlecht aus. Alle andere reisen an, wechseln sich ab. Blickst du auf, sitzt eine andere dort, stets sitzt dort eine, auch die von richtig weit weg, manchmal einer. Ich bleibe weg, schicke Fotos vom türkisblauen Meer und Muscheln.
Erinnerst Du Dich?
Wir schaffen uns Erinnerungen. Im Kaufhaus lassen wir uns beraten. Du schmeißt dich in ein Kostüm, einen gewagten Bikini. Ich schieße Fotos. Zuhause suchen wir auf meinem Laptop passende Hintergründe. Suchbegriff: Monaco. Ich füge deine Bilder ein in das, was dir gefällt. Wir drucken die Fotos, kleben sie auf die letzten Seiten deines Fotoalbums. Mit zitterndem Stift schreibe ich: Monaco 2024.
das meer spuckt mir muscheln vor die füße
ich lese botschaften aus ihnen heraus
laufe schlieren in den sand
du bist noch
wir nie wieder zusammen am meer
Deine Wohnung wird ausgeräumt. Ich soll sagen, was ich in meinen Alltag hinübernehmen möchte, wenn du nicht mehr bist. Aus der Ferne schreibe ich:
Briefe und Fotos, um herauszufinden, wer du ohne deine Krankheitsgeschichte und uns warst.
Deine Abschiedsrede. Von den Familienfrauen erfahre ich von der offenen Rede, dass nicht nur die Kinder- und Kindeskinderzahlen genannt werden. Deine Lieblingssongs werden gespielt.
Eine Kaffeetasse für den täglichen Gebrauch, nein! Besser zwei!
Sektgläser, meine zerspringen immer, wenn ich nicht zu Hause bin. Der Bedarf ist hoch. Den Rest des Jahres werde ich viel Sekt trinken.
Pullover und/oder Strickjacke – Du bist zeitlebens eine Strickerin. Würden alle Lebensmaschen zusammengenommen, säßest du auf einem hohen Berg. Dein Geruch soll in meinem Schrank wohnen.
Kuchengabeln, denn nur mit ihnen lässt sich Torte essen. Das weiß ich von dir.
Den Glaselefanten, den ich dir vor mehr als drei Jahrzehnten schenkte, wenn keine andere Ansprüche erhebt. Vor anderthalb Jahrzehnten sagtest du zu mir: Wenn du traurig bist, streichelst du ihn. Nach deinem Tod steht er nicht an seinem gewohnten Platz. Er wird im Schnapsregal gefunden.
Noch was?
Auf meinem vorletzten Besuch sind keine Wünsche übrig. Unsere Liste ist abgearbeitet oder nicht mehr möglich. Ich werfe Ideen ins Leuchtstoffröhrenzimmer. Du schüttelst den Kopf. Ich schiebe dein Bett ans Fenster, fahre das Rückenteil so hoch, dass es dir nicht wehtut. Du schaust in den Krankenhaushof. Eine Schaukel schwingt im Wind. »Da gab es dieses Lied«, sagst du und reckst deinen Hals. Ich suche auf meinem Telefon, mit bebenden Schultern. »Oma, willst Du schaukeln« scheppert aus meinem Lautsprecher. Ich habe die Räder an deinem Bett gelöst. Ich wiege und schaukle dich, rufe: »Schaukellise, Vorsicht, sonst fliegst du in die Wolken!« Ich drücke dich schnell und doll als ich aus dem Zimmer eile.
die matriarchin geht
eine lücke entsteht
füllen wir
fühlen wir auf
Die zu-Behalten-Liste wächst mit der Was-ich-von-Dir-habe-Liste. Am Ende geben nur noch die Listen Halt. Ich sehe dich, wenn ich im Spiegel in meine Iriden schaue, begreife Ausschnitte, verstehe zu wem ich gehöre, wovon ich ein Teil bin und sein möchte.
Meine Bauchfalten ähneln deinen. Wir verständigen uns, dass wir keinen Bikiniwettbewerb gewinnen wollen. Wollten wir nie!
Mein Draußenwesen lernte ich von dir. Du gabst es allen Familienfrauen mit. Drinnen weinen wir, heimlich, allenfalls heimelig. Ich werde einen Gummibaum züchten, wenn ich zurückgekehrt sein werde. Er soll in meiner Zimmerecke wuchern, wo ich mich verstecke, wenn mein Draußenwesen ruhen muss.
Zeitlebens bist du eine Naschkatze. Entgegen deiner Töchter folge ich dir darin.
Ich lerne in der Grundschule stricken. Es ist eine winterliche Leidenschaft geworden, wird ganzjährig, wenn ich weniger muss.
Ich kitzle meine Warze in der linken Achselhöhle. Ich behalte sie nunmehr entschlossen.
!
Du bist geblieben, so lange du es schafftest. Das hattest du deinem Lebensliebsten versprochen. Uns nichts.