Akzente präsentiert

Akzente Digital

In Akzente Digital präsentieren wir Ihnen ausgewählte Beiträge von Autorinnen und Autoren – Essays, Rezensionen, literarische Reflexionen und mehr. Entdecken Sie neue Perspektiven und aktuelle Themen aus der Welt der Literatur.

Das Grau der Trauer

VON DANIEL SCHREIBER Zu trauern heißt auch, mit dem Verlust der eigenen psychischen lntaktheit zu leben. Über einen Zustand, in dem die Wortefehlen. Schwarz ist die Farbe der Trauer, zumindest in ihren abendländischen Ritualen, das alles Licht in sich aufnehmende, alles auslöschende Schwarz. Und manchmal fühlt sich Trauer auch so an: wie der Nachklang einer Explosion, die im Inneren nichts als verbrannte Erde hinterlässt. Doch viel häufiger läuft es ganz anders ab, viel häufiger wünscht man sich, mit so einem eindeutigen Gefühl konfrontiert zu werden, mit einer so großen, absoluten Farbe und ihrem Versprechen auf Katharsis. Meistens findet sich die wahre Farbe der Trauer in den Abstufungen des Graus. Vor einigen Monaten starb mein Vater, der mir so viel mehr bedeutete, als ich es an dieser Stelle sagen kann. Es war nicht meine erste Begegnung mit dem Gefühl und der Arbeit der Trauer. Ich schreibe das nicht, um Mitleid zu

Weiterlesen »

Mein Leben als Delfin

VON ISABELLE LEHN Ich lebe wieder als Delfin. Ich bin geübt darin, dass alles schwimmt, ich tauche nicht zum ersten Mal ab und gerate nicht mehr in Panik, wenn ich in die Dunkelheit sinke. Aus dem Delfinbuch, das eigentlich anders heißt, habe ich gelernt, Angst und Depression als Delfin zu begegnen, wenn es als Mensch nicht mehr geht. Delfine, steht im Delfinbuch, müssen erst tief hinabtauchen, um hoch aus dem Wasser zu springen. Seit ich das weiß, kann ich den Abgrund erkunden, ohne darin unterzugehen. Ich habe Routine als Delfin. Ich werde nicht mehr am Delfinsein ertrinken. Diesmal aber ist alles anders. Die Oberfläche ist nicht mehr sichtbar, ich weiß nicht mehr, wo oben und unten ist. Das Wasser ist jetzt überall. Es ist unter Wasser und über Wasser, diesseits und jenseits des Meeresgrunds, oberhalb des Horizonts. Mein Sonar führt ins Leere. Alles ist Leere, innere und äußere Lähmung, innerer

Weiterlesen »

Leidenschaft, Luft und Lüge – Wer oder was spielt im Raum der Übersetzung?

VON OLGA RADETZKAJA Leidenschaft, Luft und LügeWer oder was spielt im Raum der Übersetzung? Drei Richtungen öffnen sich, wenn ich aus übersetzerischer Sicht über den Begriff des Spielraums nachdenke: eine Übersetzung kann Spielraum bieten, Spielraum haben oder Spielraum sein. Die erste Richtung hat unmittelbar mit der Praxis des Übersetzens zu tun. Wer fragt, welchen Spielraum eine oder die literarische Übersetzung generell bietet, meint damit in der Regel den Raum, in dem die übersetzerische Kreativität sich entfalten kann. Die Frage zielt, grob gesagt, auf das vertraute Begriffsfeld der belles infidèles oder des Gegensatzpaars Treue und Freiheit. Während erstere eher als Bonmot daherkommen, demzufolge eine Übersetzung, analog zu anderen Objekten der Begierde, nur entweder treu oder schön sein könne (wobei »schön«, das sei hier angemerkt, im Fall der Übersetzung nicht unbedingt »aufregend« bedeutet, oft heißt es sogar eher »brav«), vermessen letztere scheinbar ganz sachlich den Abstand einer Übersetzung zum Originaltext: »treu« heißt

Weiterlesen »

Die Rückkehr aus dem Exil durch Bücher – Rafik Schami im Gespräch mit Tatjana Michaelis

In jedem Buch steckt viel vom Autor. In »Sophia oder Der Anfang aller Geschichten« hast du eine Geschichte erzählt, die du selbst nicht gelebt hast, die Rückkehr in die syrische Heimat. Wie viel Rafik Schami steckt in deinem aktuellen Roman »Die geheime Mission des Kardinals«? Viel, weil ich als Kind in dieser Gesellschaft, die vom Aberglauben befallen ist, aufgewachsen bin. Du siehst, wie Nachbarn ein kleines Fläschchen mit ranzigem Olivenöl kaufen, das alle Wunden heilen und alle Familienprobleme lösen soll. Und du siehst, dass jeder Zweite mit einem Amulett herumläuft. Beim Schwimmen entdeckt man, dass Schüler ein Amulett gegen Neid tragen. Das hat mich immer begleitet. Ich habe nie ein Amulett getragen, aber ich weiß, dass jedes zweite Kind, vor allem die hübschen, einen kleinen blauen Stein gegen Neid trägt und dass in jedem Geschäft ein Neid-Auge hängt. Das ist Aberglaube, und darüber wollte ich einmal sehr spannend schreiben. Deswegen

Weiterlesen »

Kippmomente. Eine Recherche in neun Strophen.

Die CD-Aufnahmen von Dichterliebe, Liederkreis und Winterreise mit der Stimme von Dietrich Fischer-Dieskau standen bei mir im Schrank, als ich ans humanistische Gymnasium ging. Ich hörte sie gern und viel. Manchmal summte ich die Melodie dazu, während ich meine Hausaufgaben machte. Der Sound der Romantik war mir vertraut, und das andächtige Hören der Forelle von Schubert in einem ehrwürdigen Saal mit Pianoforte gehörte zum »guten« Geschmack, war ein Ausweis »guter« Bildung. Gefühlsgeladen, herzzerreißend, wogenwallend. Zu der Zeit schien die Musik mit dem Chaos, das ich als Jugendliche empfand, auf einer Wellenlänge zu sein. Ja, sie ist wunderschön. Doch sie bekommt schnell etwas Bedrohliches, wenn sie in erstarrten Ritualen und ungebrochenen Performances verharrt. Bedrohlich, weil sie den Anschein vermittelt, es sei alles immer beim Alten. Es habe sich nichts bewegt. Es gebe daneben nichts anderes. Und falls doch, benötige man sie, um sich daran festzuhalten. Wie ein Lattenzaun, den man immer

Weiterlesen »

KI ist ein Coup: Das Internet, generative Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Demokratie

In einem Interview vom März dieses Jahres sprach Sam Altman, CEO von OpenAI,- der mächtigsten KI-Firma der Welt- einen Satz aus, der ihm sofort unangenehm wurde.Er sagte: »Der Weg zu AGI sollte ein gigantischer Machtkampf sein.« AG! (Artificial General Intelligence) markiert innerhalb der Branche die Erreichung von menschengleicher, genereller Maschinenintelligenz und ist das offizielle Ziel aller KI-Startups und -Konzernabteilungen. Altman korrigierte sich schnell: Er wünsche sich diesen Machtkampf nicht, aber er erwarte ihn. Der Satz fällt an der Stelle, als es im Interview um seinen eigenen Machtkampf um die Kontrolle von OpenAI geht. Wenige Monate zuvor, im November 2023, feuerte ihn das Board des Unternehmens überraschend als Geschäftsführer. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer und da das Board nur sehr vage Andeutungen über die Gründe machte, spekulierte die halbe Welt über den plötzlichen Rausschmiss. Es ist wichtig, dabei zu verstehen, dass OpenAI keine Firma wie andere Firmen ist. Sie

Weiterlesen »
Nach oben scrollen